Was ist ein Entwicklungstrauma?

Viele Menschen können mit dem Begriff „Entwicklungstrauma“ spontan nicht viel anfangen. In diesem Artikel möchte ich darlegen, was unter Entwicklungstrauma zu verstehen ist, und wie Arbeit mit dem eigenen Körper helfen kann die Auswirkungen von solchen Traumata zu lindern oder zu heilen.

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Als „Trauma“ wird in der Medizin eine Verletzung des Organismus bezeichnet, die durch Gewalteinwirkung entstanden ist. In der Psychologie beschreibt es statt der körperlichen eine psychische Erschütterung, die mindestens im Unterbewusstsein noch lange wirksam bleibt.

Wenn wir über psychische Traumata sprechen, verbinden die meisten Menschen damit als Auslöser schockierende (Einzel-)Erlebnisse, in der Fachsprache als „Schocktrauma“ bezeichnet. Daher ist der Begriff „Entwicklungstrauma“ etwas ungeschickt gewählt.

Wichtig: Ein Entwicklungstrauma hat nichts mit einem Schocktrauma zu tun. Ein Schocktrauma wird wie folgt beschrieben: „Ein meist katastrophales lebensbedrohliches Ereignis, sei es Krieg, Flucht, Vergewaltigung, Gewalt, die Menschen erleben, oder andere bedrohliche Ereignisse.“ (ICD10)

Auch kann ein Schocktrauma durch eine schlimme Nachricht, wie der Tod eines geliebten Menschen oder die Diagnose einer lebensbedrohliches Krankheit hervorgerufen werden.

Unter Entwicklungstrauma versteht man frühe Verletzungen als Baby bis ins Jugendalter.

Rückblickend finden viele Erwachsene ihre Erfahrungen und das Erlebte als nicht so dramatisch. „War halt eben so!“ Und doch hat es in Wahrheit eine große Bedeutung und oft sehr prägende und andauernde Auswirkungen auf uns.

Entwicklungstrauma entstehen durch die Art, wie unsere Eltern mit uns als Kinder umgegangen sind. Zum Teil waren unsere Eltern unwissend, überfordert, vielleicht sogar psychisch krank oder einfach nur abwesend (abwesend im körperlichen und / oder emotionalen Sinn). Darüberhinaus können auch schon Begebenheiten während der Schwangerschaft oder bei der Geburt Spuren im sich bildenden Nervensystem des Säuglings hinterlassen.

Viele dieser frühen und frühesten Erfahrungen werden in dem sogenannten „impliziten Gedächtnis“ gespeichert. Dieses ist sozusagen tief vergraben, also nicht abrufbar wie aus dem „expliziten Gedächtnis“, aus dem wir konkrete Erinnerungen ziehen.
Die meisten Menschen können sich ab ca. dem 3. Lebensjahr explizit erinnern, aber auch dann nicht an alles. Davor liegende Kindheitserfahrungen sind dagegen ausschließlich im impliziten Gedächtnis gespeichert und tief verankert.

Wir sind heute die Summe unserer Erfahrungen, und bestimmen unser Handeln und unser Erleben aus dem was uns selbst während unseres Lebens widerfahren ist. Und weil wir uns nicht an alles explizit erinnern, ist uns manches, was uns scheinbar automatisch passiert, heute überhaupt nicht klar.

Warum reagiere ich so oder so? Weshalb habe ich diese unbestimmte Angst? Warum kann ich mich nicht binden? Weshalb gelange ich an die falschen Männer? Woher kommt meine Wut? Wieso fühle ich mich gleich so überfordert? Warum bin ich so harmoniebedürftig? Weshalb habe ich Kontaktschwierigkeiten? Weshalb nehme ich vieles persönlich? Weshalb fühle ich mich gleich schuldig? Wieso habe ich Angst vorm Alleinsein? Weshalb muss ich immer alles unter Kontrolle haben? usw.,

Die Ursachen für unsere Verhaltensmuster sitzen tief. Auch wenn wir uns ab dem 3. Lebensjahr erinnern und meinen einzelne Dinge auf konkrete Erlebnisse zurückführen zu können, so kann es doch noch andere und ursächliche Erfahrungen geben, die im impliziten Gedächtnis abgespeichert sind.

So genügt ein reines darüber sprechen nicht aus um die Verletzungen zu heilen. Mit dem darüber „Sprechen“ gelangen wir nur an die oberste Schicht der Probleme.

Wie kommen wir nun aber an den Kern der Problematik?

Es gibt einen Zugang zum impliziten Gedächtnis: den Körper. Dieser speichert unsere Erfahrungen und Verletzungen nämlich ebenfalls ab.

Aus der Psychologie ist bekannt, dass besonders schockierende oder belastende Erlebnisse „verdrängt“ werden können. Erfahrungen und Erinnerungen werden „abgespalten“, also aus dem bewussten Erleben ausgesperrt.

Ähnlich funktioniert das auch mit Erfahrungen, die im Körper mit abgespeichert sind. Patienten spalten dann quasi ihren Körper ab, sie „dissoziieren“ ihn. Oder einfacher ausgedrückt: die Verbindung zum bewusst erlebten Körpergefühl geht verloren.


Der Nutzen des Ganzen? Wenn Erlebnisse verdrängt werden, muss man sich nicht daran erinnern. Wenn der Körper dissoziiert wird, muss man das Erlebte nicht mehr fühlen.

Dies bietet zwar Schutz, und ist deshalb nicht grundsätzlich schlecht. Der Zugang und der heilende Umgang damit wird dann aber nicht mehr möglich.

Was sind weitere Folgen? Wenn wir abgeschnitten sind von unserem Körper, können wir auch nicht auf ihn hören. Wir fühlen nicht, wenn es zu viel wird. Wir halten einfach aus. Wir wundern uns darüber warum wir Kopfschmerzen, Rückenweh oder Schulterverspannungen haben.

Ich hoffe ich konnte Dir einen Einblick geben?

 Herzliche Grüße Iris Albert